Immer wenn ich beruflich nach Österreich reise, achte ich darauf, dass ich das Berufliche mit Genuss, Ruhe und Erholung verbinde. Österreich ist ein kleines Land mit lieben Leuten und einer ganz besonderen Genusskultur, und so fällt es leicht in der Nähe beruflicher Tätigkeit großartig zu essen und zu trinken. Bei Tagungen in Gugging und bei Beratungen in Tulln, beides Niederösterreich, bin ich so oft in der Gastwirtschaft „Der Floh“ eingekehrt, dass ich dort inzwischen als auswärtiger Stammgast gesehen werde und der gastfreundliche Herr Floh („der mit dem Hut“) mich schon vom Bahnhof abgeholt und nach meinen Menüwünschen befragt hat.
Aber was heißt heute schon „immer“? Heute ist Pandemiezeit, und die Beratung einer Klinik im steirischen Salzkammergut im Februar 2021 war die einzige überhaupt, die ich selbst – coronabedingt – absagen musste. Es hätte keinerlei Möglichkeit der Übernachtung und Verpflegung gegeben. Umso größer die Freude, dass es im Mai wieder möglich war, mit Sondergenehmigung beruflich zu reisen und zu übernachten. Also ging es nach komplizierten Online-Prozeduren und Testnachweisen mit dem Flieger nach Frankfurt, wo wegen Gewitters eine pünktliche Landung nicht möglich war und der Anschlussflug verpasst wurde; mit vierstündiger Verspätung weiter nach Wien und vom dortigen Flughafen mit dem Railjet Richtung Salzburg.
Erschöpft und hungrig hatte ich darauf gehofft, mich auf dem Flughafen mit etwas Proviant versorgen zu können, aber natürlich waren alle Läden und Kioske geschlossen. Es war nach 18:00 Uhr, ich hatte 3 Stunden Zugfahrt vor mir und sah beim Einsteigen, dass das Bordrestaurant geschlossen war. Ich würde nach 1-2stündiger Autofahrt gegen Mitternacht im Hotel ankommen, das zwar eine Sondergenehmigung zur Übernachtung von Geschäftsreisenden, wie ich vermutete aber sicher keine Erlaubnis für das Betreiben des Restaurants hatte. Genuss und Erholung? Diesmal offenbar Fehlanzeige.
Etwas gereizt ließ ich mich in den Sitz fallen, holte die Ohrstecker aus der Reisetasche und suchte nach beruhigender Musik auf meinem Handy, als mich eine überaus freundliche Zugkellnerin ansprach und fragte, womit sie mir dienen könne? Das sagte sie tatsächlich so: „Womit kann ich Ihnen dienen?“ Ich war in Österreich und der einzige Fahrgast im Waggon, und sie schien erfreut, endlich jemanden freundlich ansprechen zu können. Ich reagierte etwas verwirrt, denn ein Zugticket hatte ich bereits online erworben…Nein, sie sei nicht die Schaffnerin, sie komme vom Bordrestaurant, das sei zwar geschlossen, Speisen und Getränke würden aber am Sitzplatz serviert. Sie zeigte auf die Restaurantkarte: Ich könne alles bestellen, was dort beschrieben sei!
Natürlich war das alles „Convenience-Food“, aber ich liebe Wien, die Wachau und die Steiermark, also bestellte ich einmal „Sacherlwürstl mit Kren und Kaisersemmel, ein mit Schinken und Kren „Gefülltes Wachauer Laibchen“ und zum Nachtisch „Apfelchips aus der Steiermark“. Aus der Plastiktüte! Dazu ein Wasser, eine kleine Flasche „Wiener Gemischter Satz vom Mayer am Pfarrplatz“ sowie – als Digestiv – einen „Marillen Schnaps von Bauer“.
Was soll ich sagen?! Als eine freundliche Stimme den Halt in Wien Meidling ankündigte, stand alles bereit, ich war gerührt und hatte das Gefühl nach Hause zu kommen. Wien, die Wachau und die Steiermark – alles am Platz auf dem Weg ins Salzkammergut! Endlich wieder Arbeit und Genuss in Österreich! Und Rührung kam nicht nur auf, weil die Zugkellnerin dermaßen freundlich war, und weil es mir gut schmeckte, sondern auch, weil dies alles einer ewig andauernden, kontakt- und genussfeindlichen Seuche abgetrotzt war.
Wie besprochen erwartete mich der Kollege am Bahnhof und fuhr mich – ich bin ihm sehr zu Dank verbunden – durch die Nacht zum 150 km entfernt liegenden Hotel. Dort öffnete uns die Hotelchefin, die bereits geschlafen hatte und zeigte mir freundlich das Zimmer. Ich war einer von zwei „Geschäftsreisenden“ im Hotel, das als einziges im Ort eine Sondergenehmigung hatte. Am Morgen machte ich einen Spaziergang um den See und genoss die große Ruhe. Außer mir war kaum jemand unterwegs.
Neben vielen Nachteilen und manchen Katastrophen bringt die pandemische Lage auch Gutes mit sich : Sie macht uns bescheiden und achtsam für das, was so etwas wie die Basis unseres Zusammenlebens zu sein scheint: Bescheidenheit, Freundlichkeit, Genuss und Ruhe.
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